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Stellungnahme der DGfS: Sprachliche Varianten (Kiezdeutsch, Jugendsprachen, etc.) sind kein Sprachverfall
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft:
Die Sprachvarianten des Deutschen stellen keinen Sprachverfall dar
In Deutschland wird derzeit eine Diskussion über Sprachvarianten des Deutschen geführt. Hitzige Debatten entbrennen zu der Vorstellung, das gute und richtige „Hochdeutsch“ sei derzeit einer Bedrohung ausgesetzt: Sprecher bestimmter Sprachvarianten könnten, so das Argument, kein richtiges Deutsch sprechen. Die Sprachvarianten, die hier genannt werden, sind oft Dialekte oder, in letzter Zeit, häufig bestimmte Formen von Jugendsprache, wie z.B. das Kiezdeutsch. Wenn diese sprachlichen Varianten gesprochen werden stehe, so die Befürchtung, ein Verfall der deutschen Sprache bevor. Nicht selten wird damit einhergehend auch ein Verfall anderer kultureller Werte beklagt.
Die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft ist die größte Vereinigung von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern im deutschen Sprachraum. Wir repräsentieren diejenigen Forscherinnen und Forscher, die in Deutschland professionell und um weltanschauliche Neutralität bemüht menschliche Sprachen (wie das Deutsche) untersuchen.
Vor dem Hintergrund dieser Arbeit betrachten wir es als notwendig, zum eingangs genannten Thema Stellung zu beziehen: Die Behauptung, dass Sprachvarianz allgemein (oder einzelne Sprachvarianten im Besonderen) die Hochsprache gefährden, ist falsch. Zusammenhänge dieser Art werden zwar gelegentlich behauptet, sie entbehren aber einer wissenschaftlichen Grundlage.
Die folgenden Anmerkungen können unseres Erachtens zur Versachlichung der Diskussion beitragen:
- Das Deutsche ist in seiner gesamten Geschichte niemals eine Sprache ohne Varianten gewesen: Sprecher aus verschiedenen Regionen Deutschlands haben sich zu jeder Zeit in ihrer Aussprache, Wortwahl und Grammatik unterschieden.
- Auch zwischen Sprechern verschiedener Altersstufen lassen und ließen sich zu jeder Zeit klare Unterschiede nachweisen.
- Es ist daher ein Missverständnis, dass Sprecher des Deutschen nur jeweils „eine Sprache“ sprächen - oder sprechen dürften: Die meisten Sprecher können zwischen ihrem lokalen Dialekt und dem Hochdeutschen wechseln. Wir alle können uns in verschiedenen Kontexten differenziert angepasst ausdrücken - wir alle sprechen mehrere Varianten des Deutschen.
- Jugendliche können ebenfalls nicht nur ihre Jugendsprachen sprechen. Wer dies anzweifeln möchte, sieht sich einer erdrückenden Beweislast gegenüber: Die wissenschaftliche Forschung kann keinen Zusammenhang erkennen zwischen der Verwendung einer bestimmten Sprachvariante und dem Verfall der Kompetenz im Standarddeutschen.
- Jugendsprachen, Dialekte und Soziolekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren eigenen Regeln folgen (die denen des Hochdeutschen nicht immer entsprechen müssen). Diese Sprachen sind also nicht regellos oder ungeordnet. Sie stellen daher keinen sprachlichen Verfall, sondern lediglich eine sprachliche Alternative dar.
- Jugendsprachen sind daher nicht einfach „falsches Deutsch“ - genauso, wie Bairisch, Schwäbisch oder Kölsch kein „falsches Hochdeutsch“ sind: Die Sprachvarianten des Deutschen ergänzen das Hochdeutsche, anstatt mit ihm zu konkurrieren und in vielen Fällen bereichern sie es sogar!
Reißerische Schlagzeilen wie „Das Deutsche stirbt aus“ halten daher näheren Untersuchungen nicht stand: Sie sind, aus der Perspektive genauer wissenschaftlicher Untersuchungen betrachtet, vielmehr dazu geeignet, Polarisierungen in einem Bereich zu verstärken, der großer wissenschaftlicher Sorgfalt und abwägender gesellschaftlicher Konsensbildung bedarf.
Möchten Sie sich zum Thema Sprache informieren? Wünschen Sie Informationen darüber, welche Eigenschaften das Hochdeutsche und seine Varianten auszeichnen? Sprechen Sie uns an!