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Sprachtod des Deutschen
Das gute Deutsch, so hört man, stirbt aus: Die jungen Leute können doch gar kein richtiges Deutsch mehr! Wer spricht denn heute noch richtiges, gutes Deutsch?
Wenn man sich mit dem System Sprache tatsächlich beschäftigt – anstatt altklug darüber zu dozieren – so stellt man fest, dass das Deutsche in seiner gesamten Geschichte niemals ein starres, unveränderliches System war:
- Wir drücken uns heute nachweislich anders aus als z.B. Goethe vor 200 Jahren. Goethe wiederum schrieb nicht dasselbe „Deutsch“, das Walther von der Vogelweide vor 700 Jahren für seinen Minnesang verwendete. Mit anderen Worten: Wir können historisch beobachten, dass das Deutsche – wie jede andere Sprache auch – einem zwar langsamen, aber stetigen Wandel unterliegt.
- Natürlich werden nicht alle Veränderungen von allen Sprechern gut geheißen: Wenn zum Beispiel der Dativ dem Genitiv in einigen Verwendungen den Rang abläuft, mag man darüber Bücher schreiben oder darüber schimpfen: Verhindern oder aufhalten wird man die Veränderung nicht.
- Vielfach aber ist den Sprechern der Sprache aber auch ohnehin gar nicht klar, warum oder wann die eine oder die andere Form verwendet wird: Ein Nomen wird laut Duden freistehend im Dativ verwendet (wegen Schneefällen). Nur wenn sich ein Attribut hinzugesellt, gilt der Genitiv als stilistisch besser (wegen starker Schneefälle) – hätten Sie's gewusst?
- Noch etwas fällt auf: Die Sprache soll immer in gerade genau der Form erhalten bleiben, die der Sprachkritiker selbst als Kind gelernt hat. Alle älteren Sprachformen sind (genau wie – selbstverständlich! – alle Neuerungen) abzulehnen. Aber wollen wir wirklich das heute vielgeschmähte „Hausfrauenperfekt“ wiederbeleben? Goethe verwendet es: „Mignon hatte sich versteckt gehabt“ (Wilhelm Meisters Lehrjahre). Oder retten wir doch den Genitiv, indem wir die Sprache des Minnesangs wiederbeleben: „Wir trinken des Weines“ – anstelle von „Wir trinken (von dem) Wein“ – wäre dies dann „besseres Deutsch“?
Zweierlei ist also klar: Zum einen geht jede rückwärtsgewandte Sprachkritik an der Tatsache vorbei, dass sich alle Sprachen nun einmal historisch verändern. Zum zweiten muss der Wandel der Sprache niemanden beunruhigen: Die Geschichte der deutschen Sprache hat definiert, was wir heute als gutes und richtiges Deutsch betrachten – wer seine Sprache liebt, muss dem Sprachwandel also dankbar sein...